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Die Tage der ungesäuerten Brote, Kapitel 4


Mutti willigte nur schwer in meinen Wunsch ein, mit Boris zu Johanns Hochzeit zu gehen. "Wie können wir sie dorthin gehen lassen, wo ihr auf Schritt und Tritt Gefahr droht?" wiederholt Mutti ihre Gründe, erwähnt die Partisanen, die nachts plötzlich auftauchen, und wer weiß, was sonst noch alles geschehen kann. Erst auf Papas und Tantes Einreden, und nachdem im Rundfunk gemeldet worden war, es seien "Säuberungsaktionen in den Wäldern" im Gange, erklärte sich Mutti bereit, mich hingehen zu lassen.
.... Johann, das Patenkind von Tante Marija, fährt in ein paar Tagen an die Ostfront und will Rezika in Sicherheit lassen. "Der Krieg ist ja sowieso bald zu Ende, und so werden wir beide leichter warten können", erzählt Johann.
.... Gegen zehn Uhr ist der Hof schon voll von Leuten. Festliche Kleider der Frauen mischen sich in ihrer Buntheit mit den dunklen Anzügen der Männer. Die Brautjungfern eilen herbei, um die Gäste mit Rosmarinzweigen zu schmücken.
.... Vom Fuhrwerk, draußen auf der Straße, steigen die Musikanten ab. Das Gemurmel nimmt ab, weil man jetzt mit Musik nach der Braut rufen wird. Der dicke Josef hebt die große, schimmernde Baßtuba über den Kopf, setzt sie um den Hals, und Franz, der Trompete spielt und das Orchester leitet, erhebt den Zeigefinger, winkt mit der Hand, und die Musik setzt ein. Das ist das erste Rufen der Braut, damit sie aus dem Haus kommt und damit man zur Trauung geht. Die Musik spielt, die Braut jedoch erscheint nicht. Der Dirigent Franz winkt, und die Musik hört auf. Es folgt der zweite Versuch. Man spielt eine langsame Melodie, die traurig klingt, so daß einige Weiber sich ihre Taschentücher an die Augen halten. Dieselbe Melodie wird schon seit Jahrzehnten wiederholt, wie auch dasselbe Bild des "inständigen Anflehens" der Braut, die sich "kaum" entschließen kann, ein neues Leben anzufangen, die Jungfernschaft und die Wärme des Elternhauses hinter sich zu lassen.
.... Die Musik ruft zum dritten Mal nach der Braut. Die Haustür öffnet sich, und es erscheint der dicke Gevatter. Vom Hof her ertönt es:
.... "He, Gevatter, der Beutel brennt!"
.... Der Gevatter steckt die Hand in die Tasche, lächelt verschmitzt und streichelt seinen Schnurrbart. Dann schnellt plötzlich die Hand aus der Tasche, und es regnet Groschen auf die Köpfe der wartenden Kinder. Die stürzen sich darauf wie ein Schwarm Küken auf die ausgeschüttete Handvoll Körner.
.... Die Musik setzt wieder ein. Jetzt scheint in der Tür das lange, weiße Hochzeitskleid auf und der weiße Schleier auf dem Kopf der Braut. Mit der einen Hand hält die Braut das Kleid, während sie auf die Türschwelle tritt, und in der anderen hält sie das weiße Taschentuch, mit dem sie sich die Tränen trocknet. Alle Weiber im Hof haben schon Taschentücher an den Augen, einige schluchzen sogar halblaut.
.... Am Straßenrand, dicht an dem Graben, eine lange Reihe von Wagen und Landauern, auch zwei extra geschmückte Fiaker sind da, für das Brautpaar und die Trauzeugen. Die Wagen glänzen vor Sauberkeit, einige sind sogar frisch gestrichen worden. Auf unruhigen Pferden zittert das Geschirr mit schimmernden Metallschnallen, und von den Kopfgestellen hängen Bänder in verschiedenen Farben herab, in leichter Brise unruhig flatternd.
.... Die Trauung findet in der kleinen Dorfkirche statt, die alle, die hineinwollen, nicht aufnehmen kann, und so wartet eine Menge Leute vor der Kirche.
.... Im Hof, im Schatten alter Nuß-, Kirsch-, Birnen- und Apfelbäume, stehen Tischreihen und Bänke aus Tannenholzbrettern, angenagelt auf die in die Erde eingetriebenen Pfähle. Weiber hasten, um alles für das festliche Mittagessen vorzubereiten; die einen laufen mit Tischtüchern und breiten sie auf den Tischen aus, die anderen holen Teller, weil in der Ferne schon Blechmusik und hin und wieder ein Jauchzer zu hören ist.
.... Das Fest setzt sich auf den Nachmittag fort und gegen Abend wird es noch lebhafter. Man tanzt Walzer und Polka, alt und jung schwingt das Tanzbein, sogar Johanns Großmutter hat getanzt.
.... Nach dem Abendessen, als die Gäste schon vom Wein erhitzt geworden sind, folgt der Tanz mit der Braut. Auf dem Tisch steht der große, geblümte, goldumrandete Porzellanteller, in den jeder Tänzer seinen Geldschein legen wird, um mit der Braut tanzen zu dürfen. Der erste Tanz gehört dem dicken Gevatter. Langsam zieht er seine große lederne Geldtasche hervor. Die Augen aller Gäste sind auf ihn gerichtet. Wieviel legt er in den Teller? Der Gevatter entnimmt der Geldtasche eine große Banknote und läßt sie langsam in den Teller gleiten. Dann holt er die zweite und dann die dritte heraus. Nach dem Gevatter hat man sich zu richten. Genau achtet man darauf, wer wieviel gibt. Die Braut ist schon erschöpft, der Kuna-Haufen* auf dem Teller wird aber immer größer.
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.... *Kuna = Währungseinheit in Kroatien (Anm. d. Ü.).
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.... Es scheint, als wären die Gäste schon ein wenig müde. Sie sitzen an den Tischen und sehen diesem Solotanz zu. Kaum hat der letzte Tänzer die Braut zu ihrem Platz geführt, ruft der Gevatter:
.... "Damenwahl!"
.... Irgendwie unschlüssig erheben sich die tapfersten Damen. Ich habe ein bißchen gezögert, um sieh da, schon lächelt die kleine Irma und geht geradeaus auf Boris zu. Wie geschwätzig sie nur ist, die ganze Zeit schwatzen die beiden lustig, besonders sie, dabei unentwegt Boris in die Augen schauend. Es ärgert mich, daß Irma so aufdringlich ist.
.... Als er zurückkam, fragte mich Boris:
.... "Warum bist du so nachdenklich? Gefällt dir das Fest nicht?"
.... "Gehen wir, Boris!" sagte ich nur.
.... Schweigend schreiten wir nebeneinander. Es ist so dunkel, daß wir kaum den Pfad am Straßengraben sehen können.
.... "Du zitterst", sagt Boris, legt den Arm um meine Schulter und drückt mich an sich. "So wird es uns wärmer", flüstert er und drückt mich noch fester.
.... Irgendwo aus der Ferne sind Gewehr- und Maschinengewehrschüsse zu hören.
.... "Was meinst du, Boris, wie wird das alles enden, dieser Krieg, meine ich?"
.... Einen Augenblick schweigt er, als möchte er nicht antworten, dann aber sagt er:
.... "Ist dir noch immer nicht klar, wer siegen wird?"
.... "Natürlich ist es mir klar, entschuldige, ich dachte nur du wüßtest vielleicht etwas mehr."
.... Boris schwieg. Ich konnte damals nicht einmal ahnen, daß unsere Meinungen von Grund auf verschieden waren.



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